Sommerdepression

Lange ist es her, dass ich Zeit gefunden habe mich meinem Hobby zu widmen, dem Bloggen. Es gibt viele Gründe, die es mir schwer gemacht haben: Der Große hatte Scharlach. Der Kleine krabbelt/robbt und zieht sich überall hoch, weshalb  es nicht mehr ausreicht nur ein Auge auf ihn zu werfen. Meine Liebste war vier Wochen selbstständig (Praktikum bei einer selbstständigen Hebamme), und da musste ich ihr durch ganz Nordberlin hinterher reisen, damit der Kleine an die gute Muttermilch kommen konnte. Ich kam mir vor wie ein Logistikunternehmen. Jeden Tag neu Routen planen und Termine absprechen.

Doch ein Grund dominiert. Ich habe keinen Bock mehr!
Mir fehlt die Energie, bin schwer zu motivieren. Am liebsten hätte ich eine Woche Urlaub von allem. Ganz allleine auf einer einsamen Insel, mit warmem Wasser und mit weißem Strand. Einige werden jetzt sagen: Komisch, neulich sagte er doch noch, es gehe ihm gut. Es ist ja auch nicht so, dass es mir schlecht geht, doch ich habe einfach keinen Bock. Ich liebe meine Elternzeit, bin froh über alle neuen Herausforderungen, allerdings nicht im Moment.

Hinzu kommt noch, dass mich gerade meine Anti-Berlin-Stimmung wieder einholt. Hier herrscht die oft positiv beschriebene Anonymität, die mich manchmal in den Wahnsinn treibt. Keiner interessiert sich für den Anderen. Dies bedeutet, dass Jugendliche auf einer stark befahrenen Straße eine Flasche auf den Gehweg schmeißen und Keiner etwas sagt. Auch nicht die mit Kindern, denen die Gefahren von Scherben und Kinderhänden bewusst sein müssten. Natürlich überlegt man sich in Berlin zweimal Jugendliche auf ihr Fehlverhalten anzusprechen, schon wegen der aktuellen Situation mit den vielen aggressiven U-Bahn Schlägern. Aber das kann doch kein Zustand sein.

Hier schmeißt wirklich jeder seinen Dreck weg, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Ich rede hier nicht von Zigaretten oder Kronkorken. Nein hier geht es um alles, was Leute nicht mehr brauchen. Autoreifen, Kinderwägen und sämtliche Wohnungseinrichtungsgegenstände. Berlin sieht aus, als sei das ganze Jahr Spermüll, überall.
Irgendwann ist aber auch diese Phase vorbei und ich merke wieder, dass es besser wird.Dann kann ich Berlin wieder mit den Augen sehen, mit denen es fast alle Touristen sehen: So stylisch, so kreativ und immer am Puls der Zeit.

Das Ende , der Leichtigkeit des (Vater) Seins

Oder auch: Der Tag, an dem mir der Kragen platzte

Alles fing eigentlich mit der Tatsache an, dass unsere Kinder nicht gegen alle Kinderkrankheiten geimpft sind. Ja, wir lieben unsere Kinder! Ja, wir wissen, dass das ansteckend ist. Ja, wir sind gut darüber aufgeklärt und haben uns informiert.

Diese Antworten mussten wir schon das eine oder andere Mal zur Erklärung abgeben. Meist erntet man trotzdem abfällige Blicke, besonders an Universitätskliniken. Doch daran haben wir uns gewöhnt, wir sind auch keine absoluten Impfgegner, sonder denken, dass es nicht nötig ist, gegen alles zu impfen was möglich ist.

Hätte man mir aber vorher gesagt, dass Windpocken, die der Kleine aus Norwegen als Souvenir mitgebracht hat, so eine Auswirkung auf mein Stimmungsbarometer haben, hätte ich mich vielleicht anders entschieden.

Der Kleine bekam also plötzlich unvermittelt Fieber, zum ersten Mal. Danach so komischen  Ausschlag. Und dann ein deutliches, mit klarer Flüssigkeit gefülltes Bläschen. Windpocken.

Zur genaueren Abklärung sind wir ,unter strengsten Isolationsmaßnahmen, zum Kinderarzt. Schon ganz nett, sofort ins Behandlungszimmer gebeten zu werden. So fühlen sich also Privatpatienten. Nach kurzem prüfendem Blick, die Gewissheit und eine verheerende Fehlinformation. Der Kleine ist hochgradig ansteckend, bis 7 Tage nach Auftreten des ersten Bläschens. Doch dann ist da noch der Große. Das Fatale bei Windpocken ist ja, dass die Infizierten schon ansteckend sind, bevor die erste Pocke zu sehen ist. Also meinte die Kinderärztin, auch der Große muss, bis zur Genesung, zu Hause bleiben.

Das hatte gesessen: Im schlimmsten Fall also 4 Wochen mit beiden Jungs zu Hause in der Wohnung unter strengen Isolationsmaßnahmen. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, ich liebe meine Jungs und bin gerne mit ihnen zusammen, aber 4 Wochen ohne Bewegung im Freien? Ich sah vor meinem inneren Auge schon unsere Wohnung im sanierungsbedürftigen Zustand. Tapeten abgerissen, Laminat zerkratzt und alles geflutet. Und ich hatte mich mal darüber beschwert, dass die KiTa eine Woche zu hatte.

Nach ein paar Tagen mit den Jungs zu Hause, war ich echt fertig, nicht weil die Wohnung zerlegt wurde, sondern weil die Zeit so endlos erschien. Dem Kleinen merkte man seine Krankheit kaum an, bis auf die etwas entstellenden roten Wunschpunkte. Dafür litt der Große unter Bewegungsmangel, und zwar zunehmend. Ich war dann noch mal in der KiTa, um sein Regenzeug zu holen, und hatte eine kurze Unterhaltung mit der Leitung. Dieses rettete mir den Tag, denn Geschwisterkinder von Erkrankten dürfen in die KiTa. Nur wirklich schade, dass es ein Freitag war. So mussten wir alle bis Montag warten und hoffen, dass der Große nicht auch noch krank wurde.

Er wurde erst eine Woche später von den Pocken heimgesucht und bei ihm begann es wie beim Kleinen, erst Fieber dann Pocken. Beim Großen war es, bis auf ein wenig Juckreiz genauso unkompliziert. Doch für mich war es wieder enorm anstrengend. Wie erklärt man einem fast Dreijährigen, dass man bei strahlendem Sonnenschein nicht auf den Spielplatz oder in den Zoo gehen kann. Nur weil man so komische Punkte hat? Die Lebensenergie war nämlich von den Windpocken total unbeeindruckt, genau wie der Bewegungsdrang. Trotzdem blieb ich hart und versuchte Kontakt zu anderen Kindern und Schwangeren zu vermeiden. Und mit etwas Glück fand ich einen Spielplatz, der ziemlich ungenutzt in einem kleinen Wäldchen lag. Ideal für uns.

Nachdem nun alles überstanden ist und beide wieder punktfrei sind, schaue ich zurück und stelle fest, es war anstrengend. Sehr anstrengend! Ich war zwischenzeitlich auch echt fertig und mein Nervenkostüm war teilweise sehr dünn. Bestimmt bin ich auch mal laut geworden, obwohl es nicht nötig gewesen ist. Und wirklich zum ersten Mal fühlte sich meine Elternzeit nach richtiger Arbeit und nicht nach Urlaub an.

Bergfest

Nun ist er also erklommen, jetzt heißt es:”es geht bergab!”. Ich habe schon über die Hälfte meiner Elternzeit hinter mir, Zeit für einen Zwischenbericht und einen kleinen Rückblick.
Ich kann mich noch sehr gut an den letzten Arbeitstag erinnern, es war ein Nachtdienst.  Mein Körper war in den Monaten zuvor nur noch im Sparbetrieb. Überstunden, Schlafmangel und eine hochschwangere Frau sind keine gute Kombination. Ich freute mich so sehr, dass sich etwas änderte, dass ich es wie ein Licht am Ende des Tunnels wahrnahm.Wenn ich jetzt  auf 6 Monate Elternzeit zurückblicke, muss ich feststellen, dass es mir wirklich gut geht. Meine Energie wird nicht von einem Job aufgesogen, sondern kommt meiner Familie zu Gute, und es bleibt sogar noch etwas über. Klar habe ich Stress, natürlich bin ich oft mit meinem Latein am Ende, aber ich tue das alles nicht für einen Arbeitgeber, sondern für meine Familie. Und die ist, was persönliche Anteilnahme betrifft, schon großzügiger. So versucht meine Liebste mir ab und zu, so gut es geht, nach stressigen Tagen Freiräume zu schaffen, damit ich mal wieder etwas für mich machen kann. Ich bedanke mich damit, indem ich mich besser organisiere und so ziemlich alle Pflichten erfülle. In den Augen mancher Hausfrau könnte unser Haushalt mehr Aufmerksamkeit vertragen, aber so lange wir noch regelmäßig Besuch bekommen kann es so schlimm nicht sein. Unsere Fußböden werden  ja auch neuerdings vom Kleinen gewischt, indem er erst alles mit Spucke ordentlich anfeuchtet und dann mit seinem Bauch darüber robbt. Der Große hilft, wo er kann, auch wenn es für Außenstehende nicht nach Hilfe aussieht. Er tut was er kann. Und dann bin ich schon froh, dass er nicht abwäscht und dabei alles unter Wasser setzt, nicht seinem Bruder beim Laufen hilft und ihn versucht am Kopf in eine Aufrechte Position zu bringen, sondern alleine in seinem Zimmer Kisten ausräumt.

Ich blicke also zurück und stelle fest, es ist eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Mein Draht zu meiner Familie wächst zu einem Tau, mit dem man Containerschiffe anbinden könnte. Und für mich gibt es seither nichts Wichtigeres als meine Familie. Ich blicke aber auch nach vorn und stelle fest, wir bauten und bauen ein Fundament auf das noch eine Menge gestellt werden kann. Die Grundlage für eine schöne Zukunft.

Schöne Landschaft hat ihren Preis

Man könnte fast meinen, die norwegische Regierung macht es Urlaubern besonders schwer ihr wunderschönes Land zu besuchen. So kam es mir zumindest vor, als wir auf der Fähre von Hirtshals nach Stavanger saßen und einfach alles Mist war. Meine Liebste klagte die gesamte Fahrt über die typischen Symptome der Seekrankheit, immerhin 14 Stunden. Sie verbrachte die Überfahrt in einem Sessel nahe des DutyFreeShops, den Blick fest auf den Horizont gerichtet. Dabei hatte sie den Kleinen auf dem Arm, der die Überfahrt wohl am besten überstand. Der Große ließ sich seine Seekrankheit nicht anmerken- bis er spucken musste,  da konnte er es nicht mehr verbergen. Es war das erste Mal seit der Stillzeit, dass das passierte, und seinem Blick war zu entnehmen, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, was gerade mit ihm passierte. Er tat mir so leid. Nicht nur weil es ihm schlecht ging, sondern auch, weil er sich mitten auf die Klamotten gespuckt hatte. Als erfahrener Fährenfahrer hat man für solche Fälle Wechselkleidung im Handgepäck. Wir nicht, war ja unsere erste längere Schifffahrt mit Kindern. Doch zum Glück bekamen wir die Möglichkeit mit Begleitung einmal zum Auto zu gehen,um Wechselkleidung zu holen, und unser Teppich in der Kabine wurde mit einem Nasssauger gereinigt. Somit war die Geruchsbelästigung schon mal kein Thema mehr. Blieb nur noch die Seekrankheit. Beim Großen war ich mir ziemlich sicher, dass da nichts mehr rauskommen konnte. Die Menge war schon sehr beeindruckend gewesen, außerdem machte er durch ständiges “durchdieGegendRennen” nicht gerade den Eindruck eines sterbenden Schwans. Bei meiner Liebsten erwartete ich die letzte Mahlzeit eigentlich jeden Augenblick und machte mir dementsprechend Sorgen. Doch da ja Leiden verbindet gesellte sich eine ältere Dame zu ihr und umsorgte sie ein wenig. So wusste ich zumindest sie in Sicherheit. Beim Großen war das nicht der Fall: Er rannte über die Fähre, als wäre er Forest. Immer schneller und wilder, bis ich ihn durch ein super Ablenkungsmanöver in die Kabine locken konnte und er stumpf ins Bett viel und schlief. Ich selbst ruhte mich ein wenig aus, denn nach Ankunft um 5:00 am Morgen ging es ja noch 1 Stunde mit dem Auto weiter.

Doch immer wieder schaute ich nach meiner Liebsten im Sessel nahe des DutyFreeShops, aus welchem wir Gastgeschenke mitbringen wollten. Erfahrene Fährenfahrer haben Bargeld und diverse Karten im Handgepäck. Ich nicht! Meine Karten und Bargeld lagen im  Auto, und ich wollte nicht noch einmal fragen, ob mich jemand dahin begleiten würde. Immerhin ging es nur um Zigaretten und Alkohol. Absolute Mustergastgeschenke, wenn man Menschen in Norwegen besucht. Denn eine Dose Bier 0,5l kostet im Supermarkt knapp 4€, also Bier, welches auch genießbar ist.

Doch nach all den überwundenen Strapazen hatten wir sehr schöne, wenn auch teure Tage in dem landschaftlich so wundervollen Norwegen.

bella italia

Ich habe den ultimativen Tipp für alle, die sich in letzter Zeit häufiger über ihre Kinder geärgert haben bzw. daran zweifeln, ob sie alles richtig gemacht haben, bei der Erziehung. Fahrt nach Italien! Hier werden lärmende Kinder nicht als störend empfunden, ganz im Gegenteil – es wird sich an ihnen erfreut.
Für einen Fischkopf wie mich stand Italien nie als ernst gemeintes Reiseziel zur Verfügung, war einfach immer zu weit. Mit den Jahren kamen dann auch noch Vorurteile hinzu, die durch den Präsidenten und durch Fußball immer fester wurden. Und nun sollte endlich mal damit aufgeräumt werden. Auf dem Plan standen 7 Tage Toskana in einem einsamen Haus in den Bergen. Gut, die Anreise aus Berlin mit dem Auto schreckte schon ab, aber zum Glück haben wir die Möglichkeit, auf halber Strecke im beschaulichen Freiburg einen Zwischenstopp einzulegen und so die An- Abfahrt zu entschärfen. Gott sei Dank!
Denn wie sich herrausstellte, ist der Kleine vom ständigen Autofahren weniger überzeugt als unser Großer in dem Alter und auch noch heute. Besonders Kurven und Tunnel bringen ihn erstaunlich schnell auf die Palme und er kommentiert es mit Kreischen. Das macht die Fahrt durch die Schweiz zu einer enormen Herausforderung, denn im Grunde besteht die Schweiz aus nichts Anderem. Doch wenn man dann erstmal in Italien angekommen ist und die Reise verdaut hat, fällt einem schon beim ersten Kontakt mit Einheimischen auf, irgendetwas ist anderes. Bei mir war es eine ältere Dame mit Gehstock, die an unserem Haus vorbei spazierte (im übrigem die einzige Person, die je an unserem Haus vorbei spazierte) und unseren Großen dabei beobachtete, wie dieser immer wieder, wie Gott ihn schuf, in ein Planschbecken sprang. Sie kommentierte jede noch so absurde und überdrehte Handlung des Großen mit “Bellissimo”, oder Ähnlichem. Ab da wurde meine Aufmerksamkeit geschärft und ich nahm noch mehrere solcher Situationen wahr. Im Restaurant, in dem normalerweise in Ruhe gegessen wird, rennt mein Sohn quer durch den Laden, dabei ein Lied, in dem es um Klopapier geht, schreiend. In Deutschland hätte ich ihn längst eingefangen und wäre mit ihm mal nach draußen gegangen, weil die an den Nachbartischen schon gucken. In Italien schauen die Leute auch, doch lachen sie dabei und blicken immer wieder freundlich zu den Eltern, welche gerade mit dem schreiendem Säugling auf dem Schoß versuchen zu essen und sagen Sachen wie “che bello”. Wahrscheinlich auch, weil sie den Text des Liedes nicht verstehen, aber vor allem, weil ihnen die lärmenden Kinder nichts ausmachen, sondern sie erfreuen. In einem Restaurant hat unser rastloses Wunderkind Freundschaft mit einem italienischem Geschwisterpärchen geschlossen, die mindestens genau so wild waren wie er, und trotzdem gab es keine komischen Blicke, von Niemandem.
Doch die mit Abstand schönste Anekdote ist uns in Siena passiert. Als japanische Touristen ein völlig wild gewordenes Kind, dass über den Muschelplatz raste fotografierten und nun wahrscheinlich in der Heimat erzählen, wie aufgeweckt italienische Kinder sind, und vor allem, wie blond.

Rollenspiel II

Man mag es kaum glauben, aber es gibt keine Gleichberechtigung in Deutschland. Wenn ich mit dem Kinderwagen am Vormittag durch die City schiebe ernte ich sie zu Hauf. Die traurigen Blicke älterer Frauen. Ich wurde noch nie angesprochen, aber ich habe einmal zwei Damen über mich reden hören. Das Wort Scheidung wurde erwähnt, und dann noch Witwer.
Das war so absurd, dass ich nicht mal schmunzeln konnte. Sind wir denn so wenige? Ist das Bild eines Vaters, der zu Hause bleibt und sich um Kinder und Haushalt kümmert so fremd, dass man sich darunter keine intakte Familie vorstellen kann? Vermittle ich etwa den Eindruck verlassen worden zu sein?
Oder wohne ich im falschen Viertel?
Gut, ich werde häufiger angesprochen, dass ich ziemlich müde aussehe und in unserem Viertel sieht man wirklich erstaunlich wenige Väter mit Kinderwagen, aber das kann nicht alles sein. Mir ist bewusst, dass nicht jeder Vater zu Hause bleiben kann, da so mancher von seinem Arbeitgeber nicht so ohne Weiteres freigestellt werden kann. Natürlich habe auch ich schon von Geschichten gehört, in denen der frische gebackene Vater von seinem Chef gesagt bekam: “Kommen Sie mir jetzt aber nicht auf die Idee in Elternzeit zu gehen, wenn doch, brauchen Sie gar nicht erst wiederzukommen.”

Ich kenne niemanden privat, dem soetwas passiert ist, aber es soll diese Chefs geben. Auch möchten sich manche Väter erstmal um die Karriere kümmern, damit Sie eine finanzielle Unabhängigkeit erreichen und ihren Kindern damit eine Zukunft bieten können. Für mich ist dieser Wunsch sehr gut verständlich, aber bei uns war der Wunsch nach Kindern zuerst da.
Doch wie lässt sich die Aufmerksamkeit der Menschen verschärfen? Ich gebe mir doch schon Mühe, wenn ich mit meinem Kickboard und dem Kinderwagen durch die Straßen fahre. Wahrscheinlich brauchen wir prominente Genossen, die im Vormittagsfernsehen laufen, damit mehr Menschen über Väter in Elternzeit Bescheid wissen.

Rollenspiele

In letzter Zeit werde ich häufig gefragt, wie es mir geht, und wie ich mit der Situation “klar komme”. Nicht selten wird die Frage mit mitleidigen Blicken begleitet. Mir geht es fantastisch, endlich sehe ich einmal, wofür ich jeden Tag arbeite. Der Kleine dreht sich schon auf den Bauch und wieder auf den Rücken, wird jeden Tag schwerer und wirkt auf andere ziemlich zufrieden. Der Große macht sprachliche Fortschritte und auch das zornige Verhalten wird zunehmend besser. Doch was möchten die Leute wirklich hören? Dass ich scheitere, oder das Frauen doch die besseren Mütter sind? Natürlich gibt es Tage, an denen ich gerne mal nur auf meine Arbeit fahren würde, nur um einmal wieder normale Gespräche zu führen, doch diese Tage sind selten. Ich merke, dass ich in der Rolle als Vollzeitpapa aufgehe.
Ich kann mir das hier viel länger als ein Jahr vorstellen. Gut, die Bezahlung lässt mit unter zu wünschen übrig, aber welcher Job ist schon perfekt? Mit wenigen Worten, mir geht es gut, es geht mir sehr sehr gut!

Wieviel Spießer steckt in dir?

Ich habe mich in den letzten Jahren häufig über meine Frau und ihre Mitgliedskarte für die Deutschen Jugendherbergen lustig gemacht. Immer wieder bekam ich die gleiche Antwort: Irgendwann werden wir sie brauchen. Ich hielt es immer für einen kostspieligen Scherz. Und dann eines Tages (ich wollte schon wieder, nachdem ein Schreiben von diesem Verband gekommen war, alle Beiträge zusammen rechnen und zeigen wieviele Male man davon in Pauschalurlaub hätte fahren können) eröffnete mir meine Liebste, dass Sie ein paar Tage an der Ostsee gebucht hätte. Und ja, in einer Jugendherberge – Familienzimmer!
Der Urlaub begann wie immer, hektisches Packen kurz vor Abreise, schreiende Kinder, Verpflegung organisieren und verderbliche Lebensmittel entsorgen. Zum Glück haben wir in all den Jahren unsere Pflanzen so heran gezogen, dass sie mit sehr wenig Wasser haushalten und wahrscheinlich gar nicht bemerken, dass wir weg sind.
Unser Zimmer konnten wir nach dem Überwinden einer kleinen Hürde beziehen, und mit folgendem Satz: “Essen gibt es um 8:00, 12:00, 18:00 und abgeschlossen wird um 22:00 Uhr!”, war ich wieder 16 Jahre alt.
Auch die ersten Mitinsassen (die waren demnach ungefähr gleich alt), die wir trafen waren freundlich und rücksichtsvoll. Es schien ein schöner Urlaub zu werden. Doch dann kamen sie: Zwei bis drei Klassen aus der wohl schlimmsten Schule Hamburgs. Anfangs war noch alles friedlich, denn auch sie waren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Doch als der Abend begann eskalierte die Situation. Türen wurden so laut geknallt, dass bei uns die Scheiben zitterten, es wurde geschrien und auf den Fluren getobt.
Was macht man da bloß? Abwarten? Sich bei den Lehrern beschweren? Die Heimleitung in Kenntnis setzen? Oder gleich Polizei bzw. Ordnungsamt?
Gut, Letzteres viel weg, da ich kein Handynetz hatte und das für meine Verhältnisse auch etwas überzogen schien. Die Heimleitung (ein netter älterer Herr) musste auch nicht aus seinem Häuschen geholt werden, also blieb nur, sich selbst der Sache anzunehmen, damit der Große in Ruhe weiterschlafen konnte.
Der erste Jugendliche, der mir begegnete wurde über den Verbleib der Lehrkörper ausgefragt. Die Antwort war ernüchternd, “mir scheißegal!” Ich war kurz ausgebremst, dann erinnerte ich mich an meine Jugend und ich hätte auch nicht sagen können, wo sich mein Lehrer aufhielt. Wahrscheinlich wäre meine Wortwahl etwas höflicher gewesen, aber vielleicht ist das ja die neue Jugendsprache. Nach weiterem Suchen fand ich vier Lehrerinnen in einem Aufenthaltsraum fröhlich beieinander sitzend. Meine Begrüßung viel kurz aus, ich wurde mit jedem Wort irgendwie ungeduldiger.

Ich: “Entschuldigung, zu wem gehört der Haufen da draußen?”

Lehrerin: “Sie meinen meine Schüler?”

Ich: “Wenn Sie sie so nennen wollen! Ich möchte, dass mein Sohn weiterschläft, geht das leiser?”
Erschrocken, mit welcher Energie ich die Worte hervor brachte, stand ich da. Die Lehrerinnen standen auf und versicherten mir, ihr Möglichstes zu tun. Ich dankte und ging zurück in unser Zimmer. Meine Liebste erwartete mich und sah mich mit großen Augen an. “Liebste, wann bin ich eigentlich so ein Spießer geworden?”
Gestern war ich doch im Kopf selbst noch 16 und habe mit Türen geknallt, Erwachsene für doof gehalten und Spießer verachtet. Und heute? Kaum hat man Kinder, dauernd Sorgen ums Geld und einen Haufen Verpflichtungen mutiert man selbst zum Spießer. Kleines Häuschen mit Garten, jeden Samstag Rasen mähen, zwei Autos und Gründungsmitglied des Nachbarschaftsvereins.

Naja, ganz soweit muss es ja nicht kommen.

Der Notstand

Hier in unserem Haushalt steht alles Kopf. Nicht weil alle krank sind, nicht weil wir total verschuldet sind, sondern weil die KiTa zu hat. Nicht nur ein paar Tage, gleich eine ganze Woche!

Das klingt jetzt im Auge von so mancher Hausfrau lächerlich, zwei Kinder und das bißchen Haushalt, aber ich bin am Rande der Verzweiflung. Der Tag beginnt, dank der Zeitumstellung, gefühlt eine Stunde eher und dank unseres Großen mit gewohnter Energie. Meine Liebste zieht sich wie immer mit den Worten aus der Affäre:” Ich muss los!”

Übrig bleiben die drei Männer, einer hungrig, einer genervt und einer müde. Die einzelnen Beteiligten nehmen zwischendurch jeder einmal einen der genannten Zustände ein, gerne abwechselnd und spätestens um 9:30 Uhr sind alle genervt.

Da der Kleine bei Bewegung super schläft, ist seine Zufriedenstellung am Einfachsten. Dies lässt sich auch mit der Beschäftigung des Großen kombinieren, vorausgesetzt dieser lässt im Fahrradanhänger die Finger vom Kleinen. Also erstmal los, Ziel kann dank eines Smartphones auch unterwegs gegooglet werden. Wobei man sagen muss, dass schon eine Menge organisiert werden sollte, bevor man das Haus mit zwei Kindern verlässt. Denn es ist nicht wie früher, als man für einen Ausflug nichts weiter braucht als seinen Geldbeutel. Maiswaffeln, Bananenchips, Wasser, Spielzeug, Windeln…. für jede denkbare Situation sollte etwas dabei sein. Nach meinem zweiten Trip durch die Stadt, habe ich so ziemlich alles vorausschauend im Fahrradanhänger untergebracht und verlasse schneller das Haus. Dank einer Jahreskarte für den Zoo, haben wir es wirklich einfach eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Der Spielplatz im Zoo zählt zu meinen absoluten Favoriten: Der Große kann super klettern und ich habe ihn und den Kleinen eigentlich die ganze Zeit im Blick. Auch besticht er durch Sauberkeit, was man von dem einen oder anderen Spielplatz in unserem Bezirk nicht sagen kann.

Auch dachte ich als Teilzeit- Alleinerziehender von zwei Jungs, dass es möglich wäre, soziale Beziehungen mal nicht über facebook zu pflegen sondern von Auge zu Auge. Dabei hatte ich total vergessen, dass alle um mich herum ja arbeiten müssen. Auch erwies sich hinderlich, dass der Kleine zu festgelegten Zeiten zum Stillen gebracht werden musste. Und so blieb es bei nur einer realen Begegnung. Der Rest der Woche war also improvisiert. Zweimal Zoo, eine Radtour zu den besten Spielplätzen des Nordens von Berlin und der krönende Abschluss, ein Ausflug zu IKEA:

Begleitet hat mich hierbei ein guter Freund, der auch schon Erfahrung mit meinen Kindern hat. Wir fuhren zusammen mit unserem Auto. Auf der Hinfahrt dachte ich noch, alles wird gut. Unser Plan war: schnell rein, ab in das Restaurant und erstmal Essen. Der Kleine sollte schön im Tragetuch schlafen und der Große konnte in der Spielecke Energie raus lassen. Dann war geplant alle bestellten Möbelstücke aufzuladen,  zur Kasse zu bringen, bezahlen und heimfahren. Soweit der Plan, doch man weiß ja, dass meine Jungs etwas gegen Pläne haben und gerne mal kreativ und spontan diese umgestalten. So auch diesmal. Es fing damit an, dass der Kleine einfach nicht mehr schlafen wollte, aber auch nicht wach sein wollte. So irgendwie dazwischen, und das kommentierte er mit lautem Schreien. Kein Problem soweit. Mit ein wenig durch die Gänge tragen hatten wir das bewältigt. Der Große hatte durch die Spielecke nur zusätzliche Energie freigesetzt und rannte durch das Möbelhaus. Dadurch verlängerte sich der Aufenthalt ein wenig, da er dabei nicht wie auf dem Boden markiert die Laufrichtung einhielt.

Doch das Beste war der Heimweg: Eigentlich doch alles ganz gut überstanden, hatten zwei erwachsene Männer mit guten Leistungen in Physik und Mathematik die Fliehkräfte doch unterschätzt. Eine gebrochene Heckscheibe, ein vor Hunger schreiender Säugling, ein kletterndes Kleinkind  im Auto und zwei Männer mit Staubsauger und Besen bewaffnete versuchen das Chaos zu beherrschen. Das Überwachungsvideo der Tankstelle des Schauplatzes hätte ich gerne.

Ein gescheiterter Ausflug oder was Männer nicht alles tun, um nicht mehr zu IKEA zu fahren.

Frühling

Jetzt ist er da, der Frühling. Das Wetter wird besser, genauso wie die Stimmung. Nach Tagen der Dunkelheit endlich wieder Licht. Nach kurzer Tauglichkeitsprüfung sind die Fahrräder auch wieder bereit für den Großstadtdschungel. Leider nicht die Mitmenschen dieser Metropole. So mancher Autofahrer zeigt sich überfordert mit den aus allen Ecken kommenden Radlern. Verständlich ist dies nur manchmal, denn in Berlin gibt es schon den ein oder andern Vollprofi mit Carbonrad, der mit gefühlten 50 km/h über die Radwege fliegt. Doch die Mehrzahl der Radler ist mit gemütlichen 15-20 km/h unterwegs. Also für das menschliche Auge gerade noch wahrnehmbar.
Wir sind stolze Besitzer eines Fahrradanhängers in dem zwei Kinder bequem Platz finden. Und da mir das Risiko auf Berlins Straßen bewusst ist fahre ich nicht die kürzeste sondern die sicherste Strecke. Doch selbst hier kommt es vor, dass Autofahrer wenig einsichtig sind. Sie fahren hupend an einem vorbei, weil sie in ihrer normalen Fahrt behindert werden. Ich muss aber auf der Straße fahren, gibt ja kaum Radwege. Also muss ich mich damit abfinden und immer freundlich winken. An manchen Stellen kommt es vor, dass ich tatsächlich aus Angst um unser aller Leben auf den Fußweg ausweiche. Das stellt ein neues Problem dar: In Berlin gibt es die breitesten Gehwege, die ich je gesehen habe und trotzdem haben die Fußgänger anscheinend immer noch nicht genug Platz. Wenn ich die Ausnahme mache und den Gehweg nutze fahre ich natürlich viel langsamer und mit Bedacht, aber ich ernte nur Unverständnis. Meist von älteren Herren, die auf die Einhaltung von Regeln besonders viel wert legen. Da wird dann der rüstige Rentner durchaus so manches Mal ausfällig. An guten Tagen versuche ich zu erklären, dass die Straße für mich und meine Kinder im Anhänger leider nicht der sicherste Platz ist. Erkläre dann auch noch, dass der Gehweg sehr breit ist, aber es nützt nichts. Alles was ich zu hören bekomme ist irgendetwas von Anzeige und Polizei. Ich winke ab und fahre weiter. An schlechten Tagen mache ich das gleich. Ja, ich kann sie verstehen, ich mache etwas falsch und womöglich würde ich, wenn mich keiner darauf hinweisen würde es nicht mal richtig bemerken. Aber in meinen Augen gibt es in Berlin wirklich schlimmere Vergehen, die auf offener Straße geschehen.

Hier ein Beispiel, das mir vor gar nicht langer Zeit geschehen ist:

Ich bin mal wieder auf dem Gehweg unterwegs, als ein Herr aus einem Hauseingang tritt. Er hat einen Hund dabei, der nicht an der Leine ist. Er steckt sich einen Joint in den Mund und zündet ihn an. Das ist ja in Berlin noch ziemlich normal… Und es stört mich auch nicht, aber als dann der unangeleinte Hund auf einen uniformierten Polizisten zurannte und diesen ankläffte, rechnete ich mit Unterhaltung. Die bekam ich auch prompt, aber nicht wie erhofft. Der Polizist ging an dem kiffenden Herrchen vorbei und ließ auch dessen zähnefletschenden Hund links liegen. Stattdessen kam er auf mich zu und ermahnte mich, dass dieser Gehweg ausschließlich den Fußgängern vorbehalten sei. Es gibt nicht viele Situationen, in denen ich sprachlos bin, aber diese zählte dazu.